Ich bin Übersetzerin – kein wandelndes Lexikon!

Als ich noch als Physiotherapeutin gearbeitet habe, gab es einen Satz, der mich besonders nervte (und übrigens alle Physiokollegen, die ich kenne, auch): „Ich hab da so ein Ziehen im Rücken/Bein etc., was kann das denn sein?“ Selbst Freunde, die ich keinesfalls für dumm hielt, brachten diesen Satz immer mal wieder über die Lippen. Meine Standardantwort lautetet: „Das kann man so nicht sagen, dafür müsste ich dich erst untersuchen.“ Das kam nicht immer besonders gut an, entsprach aber der Wahrheit. Schließlich bin ich keine Hellseherin. Die meisten hatten wahrscheinlich auf eine alles heilende Massage gehofft.

Als ich studierte und anschließend als Übersetzerin arbeitete, dachte ich, dass ich nun endlich diesen Fluch der nervigen Frage los sei. Doch bereits im Studium begegnete mir ab und zu jemand, der aus heiterem Himmel fragte: „Was heißt denn das und das?“ Und antwortete ich nicht direkt, wurde empört hinterhergeworfen: „Du studierst doch Sprachen, du musst das doch wissen!“

Ja, ich habe Übersetzen studiert und arbeite als Übersetzerin. Menschen, die mich nach einzelnen Wörtern fragen, sind bei mir jedoch ganz falsch. Ich übersetze nämlich im Kontext. Lese ich einen Absatz eines Textes, sind mir die Zusammenhänge und Bedeutungen zumeist sonnenklar. Fragt mich hingegen jemand ein einzelnes Wort, so kann ich nur groß schauen, denn ich habe keine Universalwörter gelernt und benötige tatsächlich den Kontext, damit ein zusammenhängender und Sinn ergebender Text entsteht. Deshalb helfen mir beim Übersetzen auch zweisprachige Wörterbücher nicht so richtig weiter, denn ein einzelner Begriff ist zumeist nicht der passende, den ich gesucht habe. Viel lieber lese ich einen fremdsprachlichen Kontext zu dem gesuchten Wort oder auch im einsprachigen Wörterbuch. Dann verstehe ich nämlich, was gemeint ist, und kann in Ruhe überlegen, welches deutsche Wort in diesen Kontext nun passen würde. Diese Beschreibung zeigt bereits, dass Übersetzen viel mehr ist, als Wörter in eine andere Sprache zu übertragen, wie häufig vermutet wird. („„Wir brauchen keinen Übersetzer, mein Kollege kann auch gut Englisch.““) Aber dazu ein andermal.
Nur merkt euch bitte: Ich bin kein wandelndes Lexikon.

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